An den Wassern und von den Höhen (2025) – Leseprobe

Nun, sagte ich, was Nirwana und Hölle betrifft, das ist ja eine Frage nach dem All- und, beziehungsweise: contra, wenn man so will, dem Alleinsein, oder?

All ein, all one,

das ist doch erstaunlich, oder? Und man hat ja irgendwann in der Grundschulzeit einmal gelernt, das Alleinsein vom Einsamsein (Einsamensein) zu unterscheiden, aber hat man da nicht möglicherweise doch etwas Irreführendes gelernt?

Dahingehend verstehe ich, fuhr ich nach einer kurzen Pause fort, was Sie von Hölle und Nirwana sagen, und man mag sich nun fragen: Kann ein Ozean, der all eins ist, Sie wissen, wovon wir sprechen, nämlich von ozeanischen Erfahrungen und so weiter, einsam sein? Ein Samen? Und da ist ja, gewissermaßen, die Scheide zwischen Land und Wasser,

der Seestrand endloser Welten womöglich,

an dem wir spielen, die Kinder, und:

Abba, mein geliebter Vater: Wo ist Mutter,

und kann das ewige Du im Ozean ersaufen?

Ich glaube nicht, sagte ich, denn ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde … Und kann Gott einen Stein schaffen, der so schwer ist, dass er ihn nicht heben kann, fragte ein Zenmeister, und ich hielt im Bekenntnis inne und fragte:

Können wir uns darauf erst einmal verständigen?

Erst einmal, ja, sagte er. Aber was hat das alles mit Ihrer Arbeit dort zu tun?

Na ja, sagte ich, vielleicht hängt es mit der Frage zusammen, ob es eine christliche oder eine buddhistische Arbeit war, die ich dort getan habe, überlegte ich,

was eine Frage der Anhaftung wäre, fragte er?

Womöglich, sagte ich, wobei die Frage, ob es sich um eine christliche oder buddhistische Arbeit handelte, wohl falsch gestellt ist, und eher die Frage zu stellen wäre: Ob ich die Arbeit christlich oder buddhistisch tat, und ich denke, ich neige doch sehr dazu, Arbeiten christlich zu tun, und nicht nur Arbeiten christlich zu tun, sondern allgemein eher christlich zu leben als buddhistisch, was an vielen Stellen, wenn Sie mich so fragen, wohl mit der Frage zu tun hat, ob man sich für die verschiedenen Dinge durchlässig zu machen sucht oder die verschiedenen Dinge aufzunehmen versucht,

aber, aber da bin ich mir nicht sicher, sagte er, und ganz und gar irreführend wäre ja, Ihrer kleinen soeben aus dem Ärmel geschüttelten Theorie nach, dass Jesus der Christus – von einigen Verwirrungen der Muscular Christianity und dem deutschen Christus des deutschen Nationalsozialismus und so weiter einmal abgesehen – in der Regel ganz dünn und hager, der Buddha hingegen ganz fett und gemütlich dargestellt wird! Und wenn Jesus der Christus nun die ganze Zeit aufnehmen und der Buddha die ganze Zeit durchlassen würde: Dann müsste es doch ganz umgekehrt sein, dann müssten wir also einen ganz übermäßig dicken Jesus Christus und einen bis zum Verschwinden, ja beständig ins Verschwinden beziehungsweise im Verschwinden dargestellten Buddha haben, oder? Von den Schwierigkeiten, einen so übermäßig dicken Jesus, wie ich ihn mir aufgrund Ihrer Theorie gerade vorstelle, ans Kreuz zu schlagen, ganz abgesehen: Was für ein Kreuz würde den denn halten? Zumal er ja, während man ihn zu kreuzigen versuchte, sogleich diejenigen, die ihn zu kreuzigen versuchen, noch in sich aufnehmen würde, und dann gegebenenfalls gleich auch die, die ein größeres und festeres Kreuz errichten wollten, weil das ursprünglich gebrachte ihn nicht mehr trüge, und dann auch das nachgebesserte ihn nicht mehr tragen könnte,

und, verzeihen Sie, unterbrach ich ihn an einer grammatisch heiklen Stelle, von den theologischen Strömungen, die sich um uns ergaben, ganz mitgerissen, aber ich muss gerade denken: Wollte man den Buddha kreuzigen, was zwar meines Wissens nicht versucht wurde, aber ja durchaus hätte versucht worden sein können, wenn seinerzeit und seinerorts eine Kreuzigungspraxis bestanden hätte und ein entsprechender Anlass gegeben gewesen wäre, dann hätte man wohl geradezu ein entgegengesetztes Problem gehabt, weil man ja etwas finden müsste, was man überhaupt kreuzigen könnte, oder?

Darauf wollte ich hinaus, sagte er. Aber ich weiß noch immer nicht, worauf Sie hinauswollten mit ihrer sonderbaren Gegenüberstellung des Aufnehmens und Durchlassens …

Nun, erlaubte ich mir etwas streng zu sein, es geht ja hier auch nicht um Fertiges, sondern um die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden, so sagt man doch, oder?

Ich denke doch, ja, sagte er, wobei es freilich noch zu hinterfragen wäre, ob es sich bei dem, was Sie hier machen, um Gedanken über irgendwie in diesem Sinne Verhandelbares handelt.

Touché, sagte ich.

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