Addendum zur Lösung eines theologischen Problems in „Lankwitz. Exkursionen“, Kapitel 51
„Auch Gott, einigt man sich gewissermaßen an anderer Stelle, vorläufig zumindest, sei eher etwas, was in der Welt sei, als dass es die Welt sei“, und so weiter, hatte er geschrieben, an einer Stelle, als stünde er am Rande eines Reptilienbeckens.
Ganz alte Spiele.
„Aber das sei doch dann … Häresie, meint sie“, wer auch immer sie sein mag, und dann hatte er das Wort gleich erneut gebraucht; veredelt durch ein Ausrufezeichen: „Häresie!“, und war dann, nach einem kecken Zeilenumbruch, munter fortgefahren in seinem Schreiben:
„Aber ja, natürlich, meint er heiter, die Zigarette zum Mund führend. Aber er, außerhalb kirchlicher Strukturen aufgewachsen, ungetauft, kurzum: ein Heide, könne sich ja gar nicht der Häresie, sondern allenfalls des Christentums schuldig machen“. Nach einem weiteren Zeilenumbruch hatte er eitel kommentiert:
„Bonmot!“, also ein Wort, das nicht zuletzt durch das Ausrufezeichen in unmittelbarer Korrespondenz zum vorausgegangenen Wort „Häresie!“ stand, und das hier erneut wiederholt sei: Bonmot, ein hübsches Bonmot, mag man meinen, in der Tat, aber dann, irgendwann, musste er denken: Oh Mein Gott, was aber nun, wenn ich mich eines Tages taufen lassen sollte?
Im Text war er fortgefahren:
„Er blickt sich um, und kenne, sagt er, gut diese Frage: nach der Allmacht, Allwissenheit und dann auch noch Güte Gottes. Wenn man Güte Liebe nenne und das Gott als eine Kraft, die wirke und zwischen den Menschen wirken könne, verstünde“, und so weiter, das ging ja alles noch, und dann auch die Frage nach dem „Leiden der Kinder; so jung, dass nicht vorausgesetzt werden darf, sie seien in der Lage, ein Leiden zu transformieren durch Theologien?“, und nach dem „Mysterium der Theodizee: Warum das Verlangen, es auf sich zu nehmen? Warum das Beharren auf etwas Absolutem?“, und so weiter, aber dann:
„Das hindere ihn, sogenannter Kirche beizutreten. Wer darin aufgewachsen, darein getauft ist, der habe es wohl wie eine Familie, etwas Gegebenes, womit er sich wohl oder übel auseinandersetzen muss und wodurch er im Vorteil ist, sagen zu können: Dafür habe er sich ja nicht entschieden. Aber was geben die Grenzen einer Kirche dem Glauben hinzu? Werden innerhalb dieser Grenzen andersartige Unendlichkeiten gezüchtet? Wie zum Beispiel der Glaube an jene drei der erfahrbaren Realität so fernen Attribute Gottes; die Abgründe der Prädestination zu Heil oder Unheil, die Frage dann, natürlich auch, wie viele Engel auf eine Nadelspitze passen?“ – auch dieser Absatz gefiel und gefällt, aber noch einmal: Oh mein Gott, was nur, wenn er sich eines Tages nicht nur taufen, sondern gleich auch der Kirche beitreten würde?
Wenn diese ganzen schönen Sätze bis dahin schon gedruckt vorlägen, musste er denken, dann wären sie gewissermaßen gerettet, denn, je, ich war jung, könnte man dann sagen, und ungetauft, und brauchte das Geld, aber – aber angenommen, er ließe sich taufen und träte der Kirche bei, bevor diese Sätze in Druck gingen, könnte er es dann verantworten, sie so in Druck gehen zu lassen, von sich als von jemandem ungetauften, kirchfreien zu sprechen, der doch dann getauft wäre, und dadurch baptizatus est,
also nicht nur getauft sein würde, sondern schon war und überhaupt ist,
denn zumindest die Taufe ist, auch wenn das nicht unbedingt auf die Kirchmitgliedschaft zutrifft, die Taufe aber ist gewiss ein überzeitliches Geschehen, das also nicht nur ab, sondern auch vor dem sogenannten Zeitpunkt der Taufe gilt, sodass im Nachhinein der Taufe aus sich als einem Ungetauften zu argumentieren ihn in ernsthafte theologische, gar theojuristische Schwierigkeiten bringen könnte, denn Gott ist zwar groß, und wir gehen aufgrund verschiedener Hinweise davon aus, Er ist auch humorvoll, aber was Er dann im Einzelnen lustig findet, und was nicht: Da möchte man sich ungern täuschen, und Ihm keinesfalls – wie unbeabsichtigt auch immer – lästern.
Was also tun, auf diesen Fall der Fälle hin, der zur Zeit, als er diese Zeilen schrieb, noch nicht, aber womöglich – oder gar definitiv – doch schon eingetreten war?
„Sie hat wohl schon die Tram genommen, und er geht kopfschüttelnd, eine vergessene Zigarette zwischen den Fingern, die Straße hinab“, das, und auch das Weitere, was in Kapitel 51 noch stand, konnte er weitgehend so stehen lassen, aber die Sätze zuvor?
Er entschied sich für die Glättung auf Kosten des Bonmots, und nun hieß es, von einigen nicht den Kern des Problems betreffenden Korrekturen einmal abgesehen, noch immer: „Auch Gott, einigt man sich gewissermaßen an anderer Stelle, vorläufig zumindest, sei eher etwas, was in, außerhalb oder sowohl in als auch außerhalb der Welt sei, als dass es die Welt sei“, und so weiter, und auch noch immer: „Aber das sei doch dann … Häresie, meint sie“, und das Wort blieb gedoppelt; nun aber nicht mehr mit einem Ausrufezeichen veredelt, sondern mit einem Fragezeichen vervorsichtigt: „Häresie?“
Und dann wurde alles anders.
Statt des hübschen Bonmots stand da nun recht allgemein: „Man weiß es nicht so recht“, dann wurde etwas ausführlicher als zuvor noch die Frage der Theodizee aufgemacht, denn das ist ja auch dem getauften Christenmenschen nicht verboten. Von der Kirche war nicht weiter die Rede, und nach einigen Absätzen hieß es, wie gehabt: „Sie hat wohl schon die Tram genommen, und er geht kopfschüttelnd, eine vergessene Zigarette zwischen den Fingern, die Straße hinab“, denn auch das kann er, getauft oder ungetauft, gleichermaßen tun, und niemand hindert sie, wer auch immer sie sein mag, daran, schon die Tram genommen zu haben im Zusammenhang mit seiner eventuellen Taufe.
Soweit, so gut; geblieben war ihm allerdings die Frage nach der Rettung der Sätze, die ihm gefielen, also danach, wie man etwas gleichzeitig drucken und nicht drucken, sagen und nicht sagen, sein und nicht sein kann, und die schien ihm somit, hiermit, sozusagen, einstweilen hinreichend befriedigend gelöst.
Häresie?
Je nun, ein Riss, davon geht er stark aus, wird immer bleiben und hat auch mit Gott zu tun, wie auch die einstweilen ausgeklammerte Frage: Kann man sich überhaupt taufen lassen wollen, in diesem Zusammenhang für oder wider etwas entscheiden, oder wird da nicht viel mehr entschieden? Und so weiter, musste er denken, Oh, mein Gott, und so weiter …