Am Rande der Allerheiligenbucht (Leseprobe)

VII Haare schneiden

Analice mochte meinen Schnurrbart nicht.

Viele Frauen mögen ihn, behauptete ich.

Im Spiegel konnte ich sehen, wie sie die Stirn runzelte.

Wie wäre es, wenn man ihn bloß ein bisschen kürzt?

Es handelte sich um keinen übermäßig voluminösen Schnurr­bart, und ich sah keine Notwendigkeit, ihn zu kürzen. Ab und an stutzte ich ihn selbst, wenn die Härchen über die Oberlippe oder Richtung Nase wuchsen, und damit sollte es gut sein.

Dann würde es besser zu den Haaren passen, versuchte sie es. Die Dinge müssen zueinanderpassen, und wenn du deine Haare änderst, dann musst du auch deinen Bart ändern. Es ist auch in­klusive, ich werde dir keine Rasur berechnen. Sie hatte den Ab­standsrasierer noch nicht aus der Hand gelegt.

Respektiere mich und wage nicht, meinen Schnurrbart zu be­rühren, sagte ich.

Du bist es, der es weiß, resignierte sie und bürstete mir grob den Nacken aus, bevor sie schwungvoll den Umhang von mir entfernte.

Geh mit Gott, sagte sie, nachdem ich bezahlt hatte.

Amen, sagte ich.

Ansonsten verstanden wir uns gut, auch wenn mir stets eine Un­sicherheit blieb, wie weit wir einander vertrauten. Ich hatte mich einmal wieder an den Eingang ihres Salons gelehnt, wo die Bah­nen für den Rollladen immer gut mit schwarzer Schmiere geölt sind. Ich weiß nicht, warum ich es immer wieder tat. Die Szene­rie im Salon war ungewohnt, und mutete wie aus einer anderen Welt, wie eine Alltagsszene in Dublin oder Paris auf der anderen Seite des Atlantiks an. Blickte man in den großen Spiegel, sah man Analice mit dem Haar eines distinguierten älteren Herrn be­fasst, während ein anderer mit übergeschlagenem Bein im Hintergrund saß und eine Zeitung las. Es war wohl vorrangig die Zeitung, die den ganzen Laden auf eine sonderbare Art veränder­te. Ich hatte den Fotoapparat dabei.

Du erlaubst, fragte ich.

Analice trat zurück und verdeckte dadurch im Spiegel den Herrn, der in der Zeitung las.

Mach einfach weiter, sagte ich. Ich werde im Ausland für dich Werbung machen!

Du kannst ein Bild machen, aber ohne mich, sagte sie.

Kein Problem, sagte ich, und steckte die Kamera wieder ein. Du wirst nicht gerne fotografiert?

Es geht nicht darum, fotografiert zu werden, sagte sie. Es geht darum, was die Leute mit den Fotos machen. Ich weiß, dass du keine Perversitäten mit dem Foto machst, aber andere machen es. Und wer weiß. Man könnte dir die Kamera stehlen, und dann tun sie das Foto in ihre Computer, in ihr Facebook. Es passieren vie­le Tierereien dieser Art. Du nimmst es mir nicht übel, oder?

Nein, ich werde selbst nicht gern fotografiert.

Das ist es nicht, sagte sie. Als ich jung war, da hatte ich eine Freundin. Wir waren beste Freundinnen, weißt du, wir haben al­les zusammen gemacht. Einmal wollte ich sie besuchen, bei ih­ren Eltern, sie hatte ein kleines Zimmer dort. Damals hat man die Türen noch offen gelassen, und die Tür war offen, aber es war niemand im Haus. So ging ich ins Haus und setzte mich in ihrem Zimmer auf das Bett, um auf sie zu warten. Ich holte etwas Geld, das ich dabeihatte, aus der Tasche, um zu zählen, ob es für ein Kokoswasser reichen würde. Ein Tostão, fünf Centavos, fiel mir aus der Hand und rollte unter das Bett. Ich wollte nicht nach ih­ren Sachen sehen, es war wegen der Münze, dass ich unter das Bett sah und dort die Sache fand, die sie vorbereitet hatte.

Analice konzentrierte sich auf den Abschluss der Koteletten und trat zurück.

Der Senhor sieht zwanzig Jahre jünger aus, sagte sie. Ich hoffe, er will jetzt keinen Unfug mit den Mädchen anstellen!

Sie hielt einen Handspiegel hinter seinen Kopf, und er nickte zufrieden. Sie zog den Umhang weg und fegte die Haare zu­sammen, während der Herr das Geld aus der Tasche suchte. Der andere legte die Zeitung zusammen, und näherte sich dem Stuhl. Es waren zwei Plätze vor dem großen Spiegel, aber ich hatte Analice immer nur allein arbeiten sehen. Angeblich war ihr Bru­der auch Friseur, manche sagten, sie hätte von ihm gelernt. Es sei schwierig gewesen, als Frau in dem Beruf anerkannt zu werden, sagte sie.

Als sie einmal einige Wochen ausblieb und ihr Bruder den La­den halbtags führte, ließ ich meine Haare wachsen, bis sie wieder da war.

Es war alles dabei, fuhr sie fort, nachdem sie dem anderen Herrn den Umhang umgelegt und die Schere zur Hand genom­men hatte. Schüsseln mit Maniokmehl, Zigaretten, eine Flasche Schnaps; es fehlte bloß noch ein Huhn oder eine Ziege.

In diesem Moment passierte ein Hühnertransport aus einer der nahegelegenen Farmen die Straße, und Analice nickte bedeut­sam, während das Gackern vorüberzog. Dann fuhr sie, scheinbar unbeeindruckt, fort:

Und inmitten des Opfers lag eine Fotografie von mir, die Hälf­te eines Fotos, das wir von uns gemeinsam hatten aufnehmen las­sen, dort im Studio am Platz. Das war, bevor jeder ein Mobil­telefon hatte und als man noch ins Studio am Platz ging, wenn man eine Fotografie von sich machen lassen wollte. Sie hatte das Foto in der Mitte durchrissen und mein Abbild zu dem Opfer gelegt. Ich frage den Senhor, sagte sie zu dem Herrn auf dem Stuhl, in wen kann man in dieser Welt eigentlich vertrauen?

Nur in Gott, sagte er.

In Gott und in die eigene Mutter, sagte sie, denn Mutter ist Mutter.

Selbst Mütter gibt es, die keine Mütter sind, sagte der Mann.

Selbst das, stimmte sie zu.

Du kannst nur in Gott und in die eigene Mutter vertrauen, griff sie ein andermal, das Rasiermesser an meinem Hals, das Thema wieder auf. Es kommen viele Leute her, das gehört zum Beruf, aber nicht alle, die hier herkommen, sind gute Leute. Ich weiß das, aber ich sage nichts dazu … Es kann kommen, wer will, ich sage Guten Morgen, Guten Tag, Guten Abend, mache meine Ar­beit und sage Geh mit Gott, wenn sie wieder gehen. Aber es gibt wenige, denen du trauen kannst. Einmal war einer hier, der saß, wo du jetzt sitzt, und sagte: Was für ein schöner Salon! Wie sau­ber alles ist, und der Spiegel ist geputzt. Du verkaufst auch Bier hier, nicht wahr? Ich habe die große Kühltruhe gesehen, was für eine große Kühltruhe! Und über dem Laden, sagt man, vermie­test du Zimmer. Zwei oder drei Wohnungen, nicht wahr, da ist viel Platz. Wenn du eine Rasierklinge für einen Kunden benutzt hast, dann wirfst du sie weg, und nimmst für den nächsten Kun­den eine neue Rasierklinge. Du musst eine ganze Schublade vol­ler Rasierklingen haben, du kaufst sie sicher zu tausend Stück, dann sind sie ja auch billiger für den, der die Investition machen kann. Ich machte ihm den Bart, wie ich dir jetzt den Bart mache, und sagte Ja und Amen und nichts weiter, und im Spiegel sah ich seine Augen durch meinen Salon und an der Wand entlang wan­dern. Während er dort saß, hat er die Kacheln an der Wand ge­zählt. Er kam nie wieder in meinen Salon, aber er hat allen er­zählt, dass ich so und so viele Kacheln im Salon habe.

Das ist das Fette Auge! In der Stadt fehlt Geld, in der Stadt fehlen Anstellungen, oft fehlt ein Medikament und ich kenne vie­le, bei denen statt Fleisch nur ein gebratenes Ei auf den Tisch kommt, aber Fette Augen haben hier noch nie gefehlt.

Sag an, was soll ich mit deinem Schnurrbart machen?

Ich hatte Analice kennengelernt, während ich auf Wohnungs­suche war. Es gab, ließ ich mir sagen, Zeiten, zu denen an jeder Ecke Wohnungen und Häuser frei waren, und andere, zu denen es fast unmöglich war, irgendetwas anzumieten. Schon seit einigen Wochen galt Letzteres. Man hatte es erst auf den Sommer geschoben, und bald würde man es auf den Winter schieben müssen. Der Bürgermeister war zwar für vieles verant­wortlich, aber nicht für den Wohnungsmangel, den es ja auch, ei­gentlich, gar nicht gab. Ein Senhor Jorge hatte mir ein hübsches, günstiges Apartment in seinem Haus gezeigt, aber gemeint, es stünde schon eine junge Frau dafür an, die nur noch mit ihrem Verlobten sprechen würde: Sollte der es nicht wollen, was er nicht glaube, würde er an niemanden lieber denn an mich ver­mieten. Einstweilen würde er mir empfehlen, in dem Friseur­salon nach Dona Analice zu fragen. Die vermiete, habe man ihm gesagt, ebenfalls einige Zimmer.

Analice war gerade einige Schritte von ihrem Kunden wegge­treten, um auf die Straße zu spucken, als ich mich dem offenen Laden näherte. Ich nickte einigen Bekannten zu, die im Hinter­grund Bier tranken.

Sag, Mädchen, wohnt hier eine Dona Analice, fragte ich.

Die wohnt hier.

Kann ich mit ihr sprechen?

Du sprichst mit ihr. Womit kann ich dir helfen, mein Lieber? Lass mich raten: Du willst, dass ich dich schön hübsch mache, richtig?

Hübsch bin ich schon, sagte ich, auf meine hier seltenen blauen Augen vertrauend. Aber ich brauche eine Wohnung. Ist es wahr, dass du Zimmer vermietest?

Das ist wahr, mein Lieber, aber du weißt, wie es derzeit ist. Ich habe leider nichts frei. Wenn du Geduld hast, vielleicht in einem Monat, vielleicht. Aber dieser Tage kann ich dir nur die Haare schneiden, sagte sie.

Ist gut, ich komme darauf zurück, sagte ich.

Komm wirklich hier vorbei, sagte sie. Ich kann mich umhören, wie es aussieht, und wenn ich von einer freien Wohnung höre, sage ich es dir.

Analice arbeitete mit Abstandsrasierer und Schere. Der Salon meines bisherigen Friseurs bestand aus einem Spiegel, den er vor das Haus seiner Mutter hängte. Er war ein ausschließlicher Her­renfriseur, und da die meisten Männer, die keine Rastazöpfe ha­ben, ihr Haar so kurz wie möglich tragen, brauchte er nur den Abstandsrasierer. Er vollendete seine Arbeit für gewöhnlich mit einer Rasierklinge, mit der er die Haaransätze an Stirn, Schläfen und Nacken in zackige Formen brachte, die mich etwas befrem­deten, aber nach wenigen Tagen schon wieder verschwunden wa­ren, wie auch die kleinen Schnitte, die er einem dabei zufügte. So fand ich bei Analice zwar keine Wohnung, aber den Friseur­salon meiner Wahl.

Gott ist groß, sagte der Mann im Stuhl. Seine Bibel hatte er auf die Ablage neben den Rasierschaum gelegt, und Analice warf ihm den Umhang um den schwarzen Anzug, die Uniform erfolg­reicher Evangélicos. Sein Haar war offensichtlich kürzlich erst geschnitten worden, woraus ich schloss, dass er gern zum Friseur ging.

Amen, sagte Analice.

Ein Bruder hat mir von einem Freund erzählt, sagte der Mann, der in der Hauptstadt mit ihm zusammen die Kirche besucht. Der Kollege war ein bescheidener Mensch, ein demütiger Mensch aus einfachen Verhältnissen. Er hat getrunken, er hat geraucht, er ist zu den Sachen vom Dämon gegangen, und all das, bevor er zur Kirche gefunden hat.

Ich stand im Türrahmen, erinnerte mich daran, dass ich mich besser nicht anlehnen sollte und blies den Rauch meiner Zigarette nach draußen.

Er war schon seit einiger Zeit in der Kirche, er hatte Jesus als seinen Erlöser anerkannt, amen! Er lebte bei seiner Mutter, die eine Pension bekam, aber nach einigen Wochen in der Kirche wollte er selbst Geld verdienen, um seiner Mutter zu helfen und dann auch sein eigenes Haus zu haben, eine Familie zu gründen. Er hatte es nicht leicht, eine Arbeit zu finden, denn er hatte keine Ausbildung und keine gute Erscheinung, aber schließlich, Gott sei Dank, schließlich fand er etwas in einer Werkstatt.

Unter boa aparência, gute Erscheinung, wird in brasilianischen Stellenausschreibungen noch immer eine helle Haut verstanden.

Er sprach mit den Kollegen, die alle katholisch waren, vom Evangelium, aber sie waren ignorant und wollten nichts davon hören. Weil er evangelisch war, zogen sie ihn auf, und piesackten ihn, wo sie konnten, und fragten: Was will ein armer Schlucker wie der, der nichtmals weiß, wie man ein Auto fährt, in einer Au­towerkstatt? Tatsächlich hatte er noch nie ein Auto gefahren, und so wurde ihm mulmig, als sein Vorgesetzter, der bei jeder Prozes­sion der Katholiken vorangeht, ihm sagte: Fahr eben diesen Wagen auf den Hof, Junge, der Kunde will ihn abholen. Er warf ihm den Schlüssel zu. Der Bruder fing ihn auf, aber dann wurde ihm mulmig, denn wie sollte er, der er doch in so armen Verhält­nissen aufgewachsen war, wissen, wie man ein Auto fährt? Er betete, nicht mit den Lippen, sondern innerlich, und er gab es in Gottes Hand. Er setzte sich auf den Fahrersitz, und dann über­nahm Jesus die Kontrolle, denn er tat alles, als habe er es schon hundertmal getan: Er löste die Handbremse, er ließ den Motor an, legte die Kuppelung ein, fuhr langsam an und in einer schö­nen Kurve ohne ein Stottern auf den Platz vor der Werkstatt, nahm den Fuß vom Gas, bremste, entkuppelte, zog die Hand­bremse an, schaltete den Motor ab, und trat aus dem Wagen, als sei er schon wieder neu geboren, amen! Und die Kollegen, die ihn gepiesackt hatten und auch der Chef, der nach draußen ge­kommen war, die standen da mit offenen Mündern, nah daran loszuheulen, und konnten es nicht fassen. Wisst ihr warum?

Ich wusste es, und Analice vermutlich auch.

Es war kein Benzin im Wagen gewesen, und es war nicht nur kein Benzin im Wagen gewesen, es war gar kein Motor im Wagen gewesen! Sie hatten den Motor ausgebaut und wollten sich einen Spaß machen, wie er versucht, den Wagen zu fahren, und es nicht schafft, aber der Motor von allem ist Jesus und der Heilige Geist, amen, hat den Wagen bewegt.

Amen, sagte Analice.

Lobgepriesen sei Gott, sagte ich.

Daraus, wie Analice selbst es mit der Religion hielt, wurde ich nie so recht schlau.

Sie trank nicht und rauchte nicht und hatte meines Wissens kei­ne Laster, außer ab und an auf die Straße zu spucken und dabei prüfende Blicke in beide Richtungen zu werfen, egal, ob sie ge­rade arbeitete oder eine Pause machte. Sie arbeitete außer sonn­tags von morgens bis abends, und nur bei Regenwetter gab es in ihrem Laden keine Schlange. Auch ich hatte einmal, insgeheim, ihre Kacheln gezählt: Für eine Rasur nahm sie vier Reais, für einen Haarschnitt acht, für beides zusammen zehn, und es gab sicher an die vierzig Kunden pro Tag. Das Haus gehörte ihr und sie vermietete drei kleine Wohnungen im Obergeschoss, zu je­weils drei- oder vierhundert Reais. Sie selbst wohnte mit ihrer Tochter in einem anderen Stadtteil, und während ihrer Abwesen­heit, als ihr Bruder den Laden übernahm, war sie mit einem weiteren Kind schwanger gewesen: Niemand konnte sich vor­stellen, wer der Vater gewesen sein könnte, was für ein Maß an Diskretion spricht, das kaum einem Leben in der Stadt zuteil ist. Ich tippte auf einen Kerl, der einmal betrunken in dem Laden aufgetaucht war und dem sie freundlich, aber bestimmt gesagt hatte, er solle nach Hause gehen und Kaffee trinken, aber nur, weil ich keinen besseren Tipp hatte.

Du warst es, sagte Nelson, ein freundlicher Herr, mit dem ich manchmal in einer nahegelegenen Bar trank, beim Bier. Nelson hatte einige Jahre in São Paulo gelebt, und sich, aus der Metro­pole zurückgekehrt, nie wieder richtig an den Rhythmus der klei­nen Stadt im Nordosten anpassen können. Er wohnte allein in ei­nem Haus in dem einzigen etwas besseren Viertel der Stadt, ge­trennt von seiner ehemaligen Frau und vier oder fünf Kindern, die alle schon ihr jeweils eigenes Leben hatten. Während seiner Zeit als Homen de Negócios, Vertreter einer größeren Firma im Süden des Landes, soll er während der und zwischen den Geschäftstreffen täglich im Schnitt einen ganzen handelsüblichen Kasten Bier getrunken haben – gut sieben Liter. Wenn wir zusammensaßen, trank er in der Regel Litrinhos, Literchen, aus kleinen Flaschen zu 300 Milliliter, und selten mehr als zehn davon. Er sprach dann etwas langsamer, aber mit mir sprach er ohnehin betont langsam, wie er es sich vermutlich in seiner Zeit in São Paulo gegenüber Ausländern angewöhnt hatte. Zwei- oder dreimal in der Woche kam er um die Mittagsstunde herum in die Bar, bezog stets den gleichen Platz und blieb etwa zwei Stunden, um seine Biere zu trinken. Wie ich ihn kennenlernte, war er danach noch selbst nach Hause gefahren, später hatte ihn dann in aller Regel einer seiner Söhne wieder heimgefahren.

Er mag es nicht, sich unterzumischen, sagten auch seine Kin­der von ihm.

Den städtischen Festen blieb er fern, und ich weiß nicht, wie­weit er außer zu diesen Barbesuchen überhaupt das Haus verließ. Außer, um Einkäufe zu machen. Er war Hobbykoch, und suchte ab und an im Internet nach internationalen Rezepten. Er hielt mich für einen Experten für Sauerkraut- und Kohlgerichte.

Kann es sein, dass du die Verantwortung für dein Abenteuer je­mand anderem unterschieben willst, fragte ich.

Ich? Nein! Vielleicht war Kaki es gewesen.

Gott bewahre mich, sagte Kaki, der Wirt der Bar. Er war ver­heiratet und hatte eine Weile lang drei weitere Beziehungen un­terhalten, ungünstigerweise in direkter Nachbarschaft. Seine Frau hatte davon erfahren, und ihrerseits ein Abenteuer gehabt, worauf er sie verprügelt hatte: Nun dachte sie darüber nach, ihn anzuzeigen. Zudem war jüngst eine seiner Beziehungen ebenfalls von ihrem Ehemann verprügelt worden, was die Möglichkeit aufmachte, dass auch Kaki Probleme mit ihm bekommen könnte. Er wollte die Sache mit seiner Frau in Ordnung bringen, und einige Monate mit ihr und den Kindern in ein anderes Viertel zie­hen, bis sich die Situation beruhigt hätte: Ein Kind mit der be­nachbarten Friseurin wollte er nicht.

Es bleibt also ein Geheimnis, sagte ich.

Analice druckste herum, wenn man sie nach ihrer Religion frag­te, was sonst nicht ihre Art war.

Sie fragte mich allerdings nach meiner: Glaubst du an den Candomblé? Wurdest du getauft? Gehst du zu den Evangélicos?

Eines Vormittags meinte sie, am Morgen sei jemand mit einem Sack voller Hühner an ihrem Salon vorbeigegangen, das müsse eine große Arbeit werden: Ob ich wisse, worum es sich handle? Ob ich irgendetwas darüber gehört habe?

Auch wenn ich es gewusst hätte, hätte ich es ihr vermutlich nicht gesagt. So funktionierte es nicht, was sie sehr wohl wusste.

Einmal zog ich sie ein wenig damit auf, dass sie bei ihrem Le­benswandel nichts anderes als eine Evangélica sein könne, und es mich nicht verwundern würde, wenn sie den Frisiersalon schlösse und stattdessen eine neue Freikirche aufmachen würde, wie seinerzeit der Vater von Mestre Turbão, der jahrelang mit seinem Indianergeist gearbeitet hatte, bevor er dem Candomblé abschwor und zu aller Erstaunen Pastor wurde und eine Kirche neben dem nahegelegenen Motel gegründet hatte. Danach, mein­te ich, kannst du, wenn die Konjunktur sich wieder ändern sollte, auch Candomblépriesterin werden – oder gleich ein Hinter­zimmer für spiritistische Séancen reservieren.

Ich werde dir eine Antwort auf deine Frage geben, sagte sie ernst.

Auf welche Frage?

Sie bat mich nach draußen, da im Laden einige Männer beim Bier zusammenstanden. Sie spuckte auf die Straße und meinte: Du weißt nicht, auf welche Frage?

Ich wusste es wirklich nicht.

Auf die Frage nach der Religion, sagte sie.

Und dann, als sage sie etwas sehr schwierig zu Formulieren­des, sagte sie: Weißt du, ich glaube einfach nur an Gott, sagte sie, und ich schneide Haare. Das ist alles.

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