Eine Israeli in Berlin. Die Geschichte von Ellen. Ein Selbsthilfebuch (Leseprobe)

Die Kinder spielen jetzt und machen wahrscheinlich ein Loch in die Wand,

um reinzugucken, die ganze Zeit machen sie das.

Das Haus, die Wohnung, in der Ellen lebt, darum sollte es eigentlich gehen, um ein Buch über das Haus, um Geschichten dieses Hauses, in das Ellen sich hineingewachsen fühlt, und das sie umgibt wie weitere Körper Kleidungen angegriffene Schichten.

Ellen liegt im Bett im Zimmer in der Wohnung mit den Fenstern zum Hof in dem Haus, das gebaut wurde in dem Jahr, da Ellen zur Welt kam in Haifa, gebaut wurde in Berlin.

Ellen und ich hatten einander auf dem Geburtstag unseres gemeinsamen Freundes Niels kennengelernt.

Du bist Schriftsteller? Schreibst Du Buch, und kriege ich Geld!

Ein paar Tage später, in einem heißen Berliner Sommer zweitausendsechzehn, hatte ich bei ihr vorbeigeschaut. Wir einigten uns dann auf jeweils fünfzig Prozent. EINE ISRAELI IN BERLIN sollte es heißen. Ich weiß noch nicht, wie es heißen wird.

Jetzt heißt es so und so.

Wir trafen einander dann viele weitere Male, während derer ich ihre Geschichte erfragte. Im Sommer trafen wir einander meist in dem kleinen Parkstreif nahe ihrer Wohnung oder auch im Garten des anthroposophischen Krankenhauses; im Winter dann meist in ihrer Wohnung oder auch im Krankenhaus Neukölln.

Eines Tages in ihrer Wohnung sagt Ellen: Wenn ein Loch entstehen wird, werde ich die Hausverwaltung anrufen. Schlimme, schlimme Familie! Diese Art von Benehmen haben die den Kindern beigebracht, also aus zwei korrupten Kriminellen sind vier geworden, und die haben wirklich kennengelernt diese Art zu denken, sind richtig glücklich, wenn ich da aufwache mit Angst und so, wenn ich so mache, oder so, die hören doch, wenn ich … Es ist wirklich verrückt: Nachts warten sie, bis ich schlafe, und bin ich dann tief im Schlaf, dann hauen sie die Wand, oder gegen die Wand, die Tür, richtig zu, und gegen die Badewanne, ja.

Kannst Du herausfinden, wo die Stelle ist? Mit dem Finger, mit der Hand merken, wo es ist, und mir die Stelle zeigen? Ich stehe aus Ellens Rollstuhl auf und trete näher zu der Wand hinter dem Klavier. Kannst Du mir die Stelle zeigen? Ich wende mein Ohr zu der Wand, lege dann versuchsweise eine Hand auf die Wand. Aus der Stereoanlage kommt Musik, damit die Nachbarn nichts hören. An der Wand sind keine Erschütterungen zu spüren. Und, und? Kannst Du mir zeigen?

Meinst Du dieses? Ich mache ein wiederkehrendes Geräusch. Ja, sagt Ellen, das sind sie. Das ist, glaube ich, die CD.

Die CD? Ein Störgeräusch, ja. Ich halte mein Ohr nah an eine der Boxen. Ja, ein Störgeräusch der CD, sage ich.

Scheiße, sagt Ellen. Egal. Also so ein Idiot wie der, der Nachbar, der jetzt duscht, da ist schon ein gewisser Stress da. Das ist bezogen auf meinen Vater. Ich weiß, dass er nicht mein Vater ist, aber auf Gefühlsebene … Diese Arschlöcher haben vorher gewohnt hier, sieben Jahre oder so etwas, ich denke, sieben Jahre, ich bin nicht so sicher, so ungefähr.

Ob es einen Streit gab, frage ich.

Habe ich Dir die Geschichte nicht erzählt? Sind wir noch gar nicht auf das Haus gekommen? Schon gerne würde ich das mit Dir erzählen, mit dem Haus, also wie ich gekommen bin, hierher, und die ganze Geschichte. Aber nicht in der Wohnung hier. Wo können wir das machen? Wie fangen wir das an?

Als ich geboren wurde,

hebt Ellen an, war mein Land zwölf Jahre alt. Alles roch nach Neu und Frisch Gemalert und überall hörte man die Kompressoren, die Löcher gemacht haben in den Stein, in die Erde, die wir haben. Die Menschen rückten zusammen im Idealismus, gemeinsam in einem neuen Zuhause für die Juden; im Hintergrund der Gedanke: Wir sind ein Volk, und der ganze Rest ist nicht dieses Volk, und um uns herum sind nur böse

Araber,

und die Welt hasst uns, denn die Welt ist krank, da sie nichts mit uns zu tun haben will, und die Araber sind krank, und wir nennen das die

Krankheit.

Es waren kaum Autos auf den Straßen, die Kinder haben Fußball gespielt auf den Straßen. Abends konnte man riechen den Geruch des Wadi und Thymian und der Büsche, die am Wadi wuchsen, und abends oder nachts hat man das Salz gerochen und die Wellen gehört vom Meer. Wenn man geblickt hat aus dem Fenster, dann konnte man die Wellen sehen, wie sie bis an die Küste herangekommen sind, denn an der Küste waren keine Häuser und man konnte alles sehen. Man konnte die Eingangstür auflassen, dann kam der Nachbar rein, hat ein bisschen was gesprochen und hat genommen, was er braucht, und ist gegangen.

Haifa

war aus drei Teilen, erstmal unten am Meer, da wohnten die Araber, und in der Mitte von dem Berg, da wohnten die Menschen, die nicht so viel Geld hatten, die Israelis, die in Israel geboren sind, und oben auf dem Karmel, da wohnten die Jecken, die deutschen Juden, die vor dem Holocaust davongerannt sind, und die Anglosachsen, die hatten mehr Geld, die aus England, den USA und South Africa. So hat man auf den Straßen Jiddisch gehört und Deutsch und Englisch, der Umgang war gehoben und die Kinder mussten alle

Klavier

lernen und gingen zu besseren Schulen. Von unten nach oben kann man fahren mit der Schwebebahn, das sind zwei Kugeln, und man steigt rein, und die eine geht rauf, und die andere geht runter. Aryeh hat das gebaut, der Bürgermeister war, und man sagt, das sind die Eier von Aryeh. Oder man fährt mit der Karmelit, der U-Bahn. Die wurde von den Engländern gebaut und ist sehr alt, das Wasser dringt durch die Wände und alles war schon brüchig, und vor ein, zwei Jahren hat man sie neu gemacht. Ich weiß nicht, ob sie noch hat diesen Geruch von Holz und diese besondere Luft von U-Bahn, aber ich habe mich sehr gefreut, denn das ist die einzige U-Bahn, die wir haben in Israel. Mein Vater fuhr darin zum Hafen runter, wo er mit den Schiffen auch zu tun hatte und wo sein Labor war, und auch zur Schule, da fuhr die Karmelit hin. Ich mochte sehr diesen Geruch.

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