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Am Tag seines Ankommens in Lankwitz, als man hätte meinen können, er sei auf Urlaub, war er schon in diesem Park gegangen; dringender denn einer Wohnung, mochte man meinen, bedurfte er eines Parks und dringend einer Bank, worauf er darin sitzen und von wo er darin blicken konnte; sei es in ein Buch, sei es in den Himmel, sei es über den kleinen See in der Mitte des Parks, sei es in das Geflecht von Efeu, das eine Kiefer umspielte, die ihm wie ein Gruß aus Skandinavien war an der Stelle von der Bank aus, die er rasch gefunden und zu seiner sozusagen ersten Bank im Bürgerpark Lankwitz gemacht, als erste Bank dort besessen hatte.
Ein erster kleiner Besucher war auch bald schon zu dieser Bank gekommen:
Stellt sich vor ihm auf, hat die Arme in die Hüften gestemmt, und fragt: Was machst du da? Er sucht, aus seinem Buch aufblickend, noch nach Antwort, als der Vater seines Besuchers sagt: Der Mann liest. Obwohl er gerade nicht mehr liest, was freilich eine recht müßige Kinderüberlegung und Kinderbemerkung ist, bestätigt er das: Genau, ich lese, und, um nicht unhöflich zu sein, fragt er zurück: Und du? Nun ist es an dem Jungen, eine Antwort zu suchen, und wieder fällt der vorschnelle Vater ein: Jetzt lass den Mann mal in Ruhe lesen. Ich bin Tim, sagt der Junge noch; was machst du? Ich bin Tim. Was machst du? Ich lese. Was machst du? Ich bin derzeit arbeitsuchend. Was machst du? Ich führe ein Notizbuch mit mir. Ich mache Notizen. Was machst du? Ich bin gerade in Lankwitz an Land getrieben worden, an Land? Was machst du?
Bitte, show me the way to the next whiskey bar.
Was machst du?
Komm jetzt!
Tschüss.
Zur Bank gehört der See, der in der Mitte des Parks liegt. In der Mitte des Sees liegt eine Insel, und am anderen Ufer des Sees befinden sich weitere Bänke; vier weitere Bänke, die einen jeweils etwas anderen Blick über den See zu den anderen Seiten des Sees erlauben, und nicht selten hat er das Gefühl, sich von einer Bank zur anderen zuwinken zu können; zuwinken zu können, das ist wohl zu viel gesagt, eher zunicken zu können; weniger wohl noch, den Kopf heben zu können von einer Bank zur anderen, sich zur Kenntnis nehmen zu können, zumindest, wie er schließlich aufsteht und aufgestanden war, um den Park wieder zu verlassen. Scheinbar.
Tschüss.
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Scheinbar die Oberfläche des Teiches sanft massiert vom Regen; eine Handvoll Enten (man stelle sich das einmal vor!) unter dem Baum auf dem Inselchen in der Mitte des Teiches; Tropfen, die sich auf Blättern zusammenfinden und gelegentlich herabrollen; ein graues T-Shirt, angenässt; die Frage, wie lange das dünne Blätterdach über der Bank dem, der dort sitzt, noch genug Schutz vor dem dünnen aber stetigen Regen geben wird, damit das mühelose Drehen einer weiteren Zigarette belegen kann, dass der Regen nicht zu stark ist, um draußen zu sitzen und über den Teich zu schauen; dem Wetter nachzufühlen und einem Lübzer Pils, und Erinnerungen, die wie die Schnecken bei solchem Wetter und Sitzen hervorkommen mögen (aha); natürlich ist alles da auch hier, wie die Bäume, die aus dem Boden wachsen; woraus sollten sie denn sonst wachsen, und sind sie etwa nicht mehr im Boden? Und sind die schutzlosen (manchen hässlich scheinenden) unbehausten Schnecken, die langsam aber stetig an ihnen emporkriechen, nicht den Erinnerungen vergleichbar?
An ihm nicht, noch nicht, nicht mehr emporkriechend, aber
ist man nicht stets in einem Wald; mehr oder weniger nah umgeben von Tieren; nicht stets in einer Wohnung, deren Unendlichkeit bloß durch die Öffnung oder Schließung von Türen, worauf man, umso weiter sie entfernt sind, umso weniger Einfluss zu haben scheint, bedingt scheint?
Träume, in denen bekannten Wohnungen neue Zimmer wachsen, die zu neuen Wohnungen führen, deuten auf eine solche Fläche und keineswegs auf eine Welt, die rund wäre.
Auch die Leiter auf dem Dachboden, über die man auf den Mond gelangt.
Besuche von Menschen, die man am Tage dann suchen mag.
Oder am Tag, wie aus Träumen, erinnert.
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Im Park, im Bürgerpark Lankwitz gehören ihm mehrere Bänke; das sind seine westlichen Besitzungen in Lankwitz. Auch in südlicher Richtung, in der man über eine Folge kleiner Parkstreifen bis zur Stadt Grenze Mauer Weg gelangen kann, wo man einen Schritt nur von Brandenburg entfernt ist, hat er Eigentum. Diese Mauer Nichtmauer dieser Weg und dieser Weg zum Mauer Weg sind aber fern dem Stadtpark; sind das Fluchtversuche? Überschriebene Fluchtversuche vielleicht, ein Weg als Palimpsest; an einer Hand kann er die Male abzählen, die er an der Stelle der ehemaligen Mauer entlanggegangen war, und jedes Mal hatten sie ihn zu der gleichen (und fast derselben scheinenden) Schnellbahnstation geführt, von der er wieder in den Norden fuhr. Zumal befinden sich an Stelle der Mauer über die weiteste Strecke des Weges Alleen, und zwar Alleen, die eher für Radfahrer denn für Fußgänger geeignet sind mit einem asphaltierten Weg, der von einem schönen Baumbestand umfasst wird, an dessen Rand aber keinerlei Bänke stehen; eine Transitzone, genaugenommen, und wenn man durch die Bäume blickt: Dann ist im Dortigen (Brandenburgischen) wenig einladendes Ackerland, und im Hiesigen sind die letzten Hochhäuser des Stadtrandes. Schön ist das alles nicht, viel eher geeignet, auf das Gemüt zu drücken mit der Frage: Wie kommt man hier heraus? Und besonders bedrückend die Aussicht, aus praktischen Gründen nicht wie ein freier Mann zu Fuß, sondern ob der zurückgelegten Strecke und aufgrund von Verpflichtungen mit der Schnellbahn zurückzufahren, aufzulaufen an ihrer Station, ausgeliefert zu sein ihrem Fahrplan, und zumal das Wissen: Natürlich könnte man jederzeit darüber hinaus gehen südlich südlich südlich ohne weiteren Plan, als genau diesem bedrückenden Dreh zu entkommen; die Mauer ist an dieser Stelle unsichtbar geworden, mühelos könnte man ihre Ehemaligkeit durchschreiten, und doch geht man brav an ihr entlang nimmt brav die Schnellbahn wieder in den Norden rückkehrend von einem traurigen Ausflug verschwitzt manchmal vor Traurigkeit und Sonne, die auch nicht glücklich scheint.