Ein Traum vom Literaturinstitut (Bekenntnisse, Entdeckungen, Variationen) – Leseprobe.

… ich kann mein Glück kaum fassen?

Womöglich! Mein Glück umgibt mich, und ich nehme es langsam wahr. Glück klingt sehr groß, und ob man von Glück spricht oder nicht, das ist sicher, wie so vieles, eine Frage des Maßstabes. Sehr zufrieden bin ich in jedem Fall, und weil ich das selten bin, würde ich es ein großes Glück nennen, auch wenn ich dort, hier, wo ich sitze, davon ausgehe: Selbstverständlich bin ich zufrieden. Die dauernde Unzufriedenheit, ist man denn einmal zu Frieden, ist einem fern, ähnlich schwer fassbar wie die so ferne Zufriedenheit im Unfrieden, und erfahrbar ist mir hier, und ich kann es sogar genau beschreiben, was mich so zufrieden macht, nämlich das Glück einer endlich einmal gelungenen Reise in eine Vergangenheit bei Beibehaltung des in der Zukunft gewonnenen Wissens – von der ich so lange schon geträumt habe, wie man so sagt, und nun träume, und darüber hinaus, da bin ich mir sicher: Es drohen keine Paradoxe, oder es herrscht ein freundlicher Gott in der Maschine, der sie hokusnonestpokusverschwindibussen lässt. Denn dies ist ja keine Science-Fiction, denn ich kann ja noch immer keine Genre-Literatur schreiben. Keine Belletristik, nichts Schönes – auch das fällt mir schwer, und Worte wie diese, die nicht recht wissen, ob sie Pose oder Posse sind, lasse ich noch immer gerne stehen. Ich finde, sie haben das Recht dazu, und ich auch.

Recht ist es auch und wohlgetan, und nichts anderes wäre den Göttern wohlgefällig, dass immer Fehler bleiben im Text, und ich meine jetzt auch solche solche, über fie man gar nicht diskutieren braucht, außer hier, vielleicht, in aller Regel also, ob sie nicht vielleicht doch dort doch gewiolltwalt sind. Ich meine die das, wo ein dass sein sollte, die dass, wo ein das dada sein sollte, fehlende und überschüssig Buchstaben, insbesondere das H, har har gedoppelter Worte, so ungewollte wie unstimmige Tempuswechsel, mitgetippte Vokale – und so weiter, weiter, weiter und dann liest man so einen Text, wieder und wieder und wieder (und wieder), und andere haben ihn schon gelesen, einige aufmerksam, einige geschult darin, und doch kann man ihn dann noch einmal lesen, und ob man sie entdeckt oder nicht: Es werden noch immer Fehler in dem Text sein, trotz der kleinen roten Schlängellinien der Autokorrektur, die eigentlich ohnehin eine Unverschämtheit sind, und ich sage: Es sind nicht nur, weil sie unterlaufen, sondern es werden noch immer Fehler in dem Text sein müssen, um nicht den Zorn der Götter zu erregen. Die Japaner, wenn sie ihre Häuschen für die Teezeremonie bauen, die Japaner wissen darum und brechen seine Symmetrie, aber ärger noch als der Zorn der Götter, der ja auch Geschichten schenkt, ist vielleicht die Vorstellung: den Widerstand des Textes gegen seine Vollkommenheit gebrochen zu haben, und ich glaube, das sollte man einem Text nicht antun, nicht abverlangen, weder sich, noch dem Text, noch irgendwem: Vollkommenheit,

und von Vollkommenheit und Kommasetzung ganz abgesehen, sei gleich bekannt, was ich gerne sage: Ich bin, was das Schreiben betrifft, ein Schwimmer, kein Basketballspieler, beziehungsweise ein Basketballspieler, kein Schwimmer, und finde das zwar manchmal schade, des Geldes wegen, aber nicht so schade, wie ich es schade finde, dass ich kein Klavier spielen kann, und was das Geld betrifft: ließ ich mir erst neulich von einer Kollegin, die sich besser damit auskennt als ich und auch eher Genre-Literatur schreiben kann als ich, sagen: dass man, selbst wenn man Genre-Literatur schriebe, zumindest in Deutschland, auch damit kein nennenswertes Geld verdienen könne.Das ist wohl einer der Gründe, warum sie auch nicht recht weiß, was sie machen soll. Sie ist allerdings, ich kann den Saal gut überblicken, obwohl wir seinerzeit gemeinsam das Literaturinstitut besucht haben, nicht hier. Ist sonst jemand hier, den ich schon kenne? Dort? Das ist schwer zu sagen, und scheint besonders wichtig auch nicht zu sein. Einige der Personen unten im Saal, die nun auch mehr Platz haben, nicht mehr so gedrängt stehen, auch nicht mehr unbedingt stehen, sondern teils scheinbar schon gehen, und angesichts deren Gehen man nicht genau sagen kann, sind sie noch in Ankunft, oder schon in Aufbruch, einige von denen kommen mir bekannt vor, als wären Namen im Hintergrund, als wären das Personen, mit denen ich seinerzeit zu studieren begann oder die seinerzeit im Laufe meines Studiums, jährlich waren es etwa fünfzehn Leute, hinzukamen. Aber gleichsam waren es diese Leute natürlich nicht mehr, und auch: noch nicht. Einigen könnte ich Namen geben aus der Erinnerung, von solchen, an die sie mich erinnern, aber auffälligerweise ist niemand dort, mit dem ich seinerzeit in wirklich engem Austausch stand, in einer engeren Freund- oder Liebschaft etwa. Es sind im Zweifelsfalle eher Leute, die die Umgebung meiner Freund- und Liebschaften am Literaturinstitut gebildet hatten. Ich gehe nicht davon aus, dass diese Leute, die ich gekannt aber nicht besonders gut gekannt hatte, mich nun erkennen würden – ich gehe nicht davon aus, dass sie ihr Hiersein auf eine vergleichbare Art geschenkt bekamen, wie ich es geschenkt bekam. Sie wissen nicht, ob sie selbst schon einmal hier waren, und auch von mir, glaube ich, wissen sie das nicht. Dennoch vermute ich sehr: Sie wissen zwar nicht um meinen Namen, merken aber, dass ich ihnen Namen geben könnte. Einige schauen, hinauf, wie ich dort stehe, am Geländer der Galerie, und hinabschaue. Sollte ich etwa, aus großer Höhe, auf alles, hinab? Irgendetwas wird ausgehandelt zwischen ihnen, was erst noch aus diesem religiösen Moment kommt, das von der doch noch in das Seminar aufgenommenen Studentin initiiert wurde, das sich dann aber rasch verflüchtigt und sich wandelt wandelt sich ins Scherzhafte, Ironische, ganz so, als wären nun alle aufgenommen, als nehme man die Heiligkeit, um die es ging, die Gnade, nun schon als etwas Selbstverständliches und ließe die Formalitäten hinter sich, erlaube sich eine gesunde Säkularisierung und allgemeine Erleichterung.

Aber verwundert es mich, macht es mich nachdenklich, dass keiner meiner engeren Freunde in diesem Saal ist? Nein, darüber verwundere ich mich nicht. Es ist mir, ehrlich gesagt, sogar ganz recht, glaube ich, weil es das einfacher machen wird, glaube ich, von diesen engeren Freund- und Liebschaften so wenig wie möglich zu schreiben, denn ich hätte das Gefühl, einen Fehler zu machen, einen großen Fehler, der das, was dieser Text zu versuchen sucht, zerstören, ihn darin ganz fatal auflaufen lassen könnte in einem sehr persönlichen, schlimmstenfalls schwülstigen, kleinlichen, übergriffigen autobiographischen Romanversuch über eine dieser Freund- und Liebschaften oder die Verwicklungen einiger dieser Freund- und Liebschaften ineinander, denn ein jedes, würde ich behaupten, Leben ist über weite Strecken schwülstig, kleinlich und übergriffig, und dadurch, dass man es autobiographisiert, wird das nur selten besser – und schlechter gar noch, wenn man es zu kaschieren versucht. Und soweit dieser Text ein Übergriff ist, was jeder Text ist, als Wunsch und Unterstellung auch, will er eher übergriffig sein einem Ort gegenüber als irgendwelchen Personen gegenüber, die diesen Ort bewohnt haben oder bewohnen, mit Ausnahme meiner Person vielleicht, die ich gerne diesem Ort wieder auszuliefern versuche in diesem Traum.

Und ja, ich bin mir sicher, das wäre eine große Gefahr, würde ich nun anfangen, von Kathrin und Thomas und Sybille und Markus zu schreiben, was ganz willkürliche Namen sind, die ich für eine kleine Auswahl tatsächlicher Namen hier einsetze, und wie Münder einander fanden und Freundschaften zerbrachen und so weiter, und man merkt schon den Schwulst: wie Münder einander fanden, und Penisse und Vaginen natürlich oder Ärsche und Dildos und so weiter. Es ist mir also ganz recht, dass der Raum gewissermaßen in einer Stunde null ist, dass ich in meiner Betrachtung der Studierenden karmisch nicht gestört werde von der Verführung: dies oder das mit Kathrin oder Markus oder Kirsten hier zu klären, noch einmal aufzurollen: die fleckige Leinwand für alte Filme. Auch wenn es vielleicht nicht nur hässlich, sondern auch schön wäre, Menschen, mit denen eine Anziehung war, die in nicht wenigen Fällen zu einer Abstoßung geworden zu sein scheint, vor oder in dem Moment der Anziehung wieder zu begegnen, aber das wären ganz andere Träume, die ich hier eher als Störung denn als ein Entwachen in einen anderen Traum empfände. Es ist mir also ganz recht, auch, dass man mich nicht zu erkennen scheint, ohne, dass ich mich verstecken müsste. Ich stehe, noch, dort oben auf der Galerie, die Hände aufs Geländer gestützt, ohne mir weitere Gedanken über eine mögliche Pose zu machen, und mache mir auch keine Sorgen, Freundschaften zu machen hier: Der Raum ist freundlich, und auch das ist ein Geschenk, denn es geschieht, leider, gar nicht so häufig, dass man sich in freundlichen Räumen findet. Meist muss man sich Freundlichkeit in den Räumen sehr hart erarbeiten, und gelingen tut das nicht immer, und dass man einen Raum betritt, und er ist freundlich wie ein Geschenk: Das scheint mir selten vorzukommen, und häufig betritt man unfreundliche Räume – und mag zwar bisweilen erwägen, aber will nicht glauben, das könne an einem selbst liegen.

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