Es ist noch dort,

(ein weiteres Addendum zu Lankwitz. Exkursionen.)

es war noch hier,

denn gestern erst, wie man heute so sagt, sagte: War er durch diverse Grünstreifen und großzügig angelegte Straßen, durch die zuvor schon einmal geschlendert zu sein er sich nicht erinnern konnte, aus Nordwest kommend nach Lankwitz spaziert, montagnachmittäglich.

Über einen kleinen Graben war eine Mutter mit ihrer Tochter gesprungen, oder eine große Schwester mit ihrer kleinen Schwester, Patchworkschwestern, vielleicht, Hexen vielleicht, alte Frauen, in Wahrheit, in der sogenannten, denn man weiß ja nie, und ein kleiner Junge hatte durch denselben Graben einen am Ende noch verzweigten Ast gezogen, die Wasser in Bewegung gebracht: Nach der Schule?

Der Junge war ihm einer dieser Freunde im Augenwinkel gewesen, irgendwie im Augenwinkel geblieben, während er weiterging und darüber nachdachte, wozu man eigentlich Geld brauche, wenn man so durch diese scheinbar niemals endende Stadt geht, außer, um sich ein Bier zu kaufen, oder um sich die Haare schneiden zu lassen. Einen Kanal hatte er überquert und war weiter zu einer Schnellbahnhaltestelle gegangen, an der er selten eingestiegen war, seinerzeit, an der er aber seinerzeit eingestiegen war um das erste Mal, nachdem er nach Lankwitz gezogen war, Lankwitz zu verlassen in Richtung Norden

Tannenwälder Schnee Wildnis und Wölfe.

Das Rathaus stand noch, der pittoreske runde Turm stand noch, aber wo früher ein Italiener oder Grieche gewesen war, da war nun eine Station, in der man sich – kostenfrei – auf eine derzeit grassierende Viruserkrankung testen lassen konnte. Den Ein-Euro-Laden gab es noch, wo er seinerzeit einen Strohhut erworben hatte, den er später einem Trinkkumpan in Brasilien schenken würde, und auch die Bäckerei, in der man ihn einmal so böse angesehen hatte an der Kasse, als ihm auffiel, dass er sein Portemonnaie vergessen hatte.

Türen ließen sich noch immer öffnen, und er fragte: Ob man einen Termin brauche? Aber nein, gleich würde jemand für ihn frei.

Einunddreißig Grad, sonnig.

Auf dem Sessel durfte er die Maske abnehmen, und in dem Spiegel sah er einen Monitor, und auf dem Monitor in dem Spiegel ging eine stille Kamerafahrt durch nächtliche Straßen vonstatten, fünfundzwanzig Grad nachts, morgen regnerisch, durch Vergnügungsstraßen, Einkaufszentren, großzügige Lokale, gespenstisch, denn statt hunderter Menschen waren immer nur zwei, drei Menschen an den jeweiligen Orten zu sehen, eine einsame asiatische Frau, ein einsamer europäischer Mann, ein Händler, bei dem niemand einkaufte, ein Reisender, der nichts zu fotografieren fand, wie Übriggebliebene, nachdem ein Museum geschlossen hat, und er erinnerte sich von Thailand gelesen zu haben, wie das ganze Nachtleben dort verstorben sei, und fragte, obwohl er sich recht sicher war, aber vorsichtshalber, weil seit geraumer Zeit Werbeschilder nur in englischer Sprache in dem Film aufgetaucht waren, fragte inetwa: Wo fahren wir eigentlich lang, die ganze Zeit, wo fährt die Kamera eigentlich durch, die ganze Zeit, denn die Frage war gar nicht einfach zu stellen, wenn man so im Spiegel einen Monitor sah, und der Mann aus dem Nahen Osten irgendwo, der ihm die Haare schnitt, verstand auch erst nicht recht, während ein Radiosprecher von der Ukraine sprach, und dann doch, und er hatte sich nicht getäuscht: Thailand,

ahja, sagte er, da wären wir wohl alle gerade gerne, sagte er etwas schwach, auf dem an diesen Tag zwar sonnigen, aber doch kalten und der vorausgegangenen Tage auch sehr dunklen Winter Bezug nehmend, ja, pflichtete der Mann ihm bei, denn das verstand er sofort, hier ist immer Winter.

Im Spiegel konnte er durch den Monitor nach Thailand blicken, wie es vor einigen Wochen, vermutlich, gewesen war, oder auch, wie es vor einigen Millisekunden erst gewesen war, oder, man weiß ja nie, wie es morgen sein würde, und er konnte den Mann sehen, wie der ihm die Haare schnitt, einen leichten Uppercut, der war wohl seit langem in unmodischer Mode und man konnte nichts verkehrt damit machen, und er konnte andere Männer sehen, die wieder anderen Männern die Haare schnitten, aber keine Frau im Salon, vereinzelte Frauen aber in Thailand im Monitor aber nicht im Salon und sein eigenes Gesicht auch, dass ihm sehr blass schien und etwas fleckig, und freundlicherweise entfernte ihm der Mann auch noch einige lange Haare von seinem Hals, die er bei der jüngsten Rasur übersehen hatte.

Er dankte und ging und auch die Kirche war noch da, versehen mit einem sonderbaren Banner, Rassismus sei eine Sünde gegen die Seele, aha, dachte er, naja, dachte er, das stimmt schon irgendwie, und ging hinter der Kirche entlang durch sehr schöne Straßen zum Stadtpark, und spätestens ab dort kannte und erkannte er die Dinge wieder sehr genau, den See, die Bänke, den Gang unter dem großen gelben Haus entlang, das alles gehörte noch ihm, und ein Stück weit folgte er den Wegen, auf denen er früher, wie man so sagt, nachhause gegangen war, wie man so sagt, so sagt, so sagt, so sagt,

und zwei junge Frauen gingen vor ihm her und ein junger Mann, nicht mehr ganz jung, aber noch jung, Zigaretten zwischen allen Fingern und ein wenig schwankend auf dem aufgerissenem Pflaster des Bürgersteiges, alle drei, als hätten sie etwas anderes geraucht als die Zigaretten oder genommen oder getrunken, bis sie, mit welchem Ziel auch immer und weswegen auch immer freundschaftlich, familiär oder amourös, womöglich freundschaftlich, familiär und amourös miteinander verbunden, gemeinsam auf die Straße, die Straßen gegangen waren, und eine der jungen Frauen entschuldigte sich ganz freundlich, nachdem sie erschrocken war, als er sie leise von hinten überholt hatte und auch er entschuldigte sich ganz freundlich, ihr einen Schrecken eingejagt zu haben mit seiner Leisheit, und die zweite Frau sagte, frag ihn doch, und rief: Hast du blaue Augen, und

Lass doch den Mann in Ruhe, sagte die andere, und alle waren sehr freundlich. Es war also alles noch hier, und mehr noch, aber wie antwortet man auf eine solche Frage, fragte er sich, weitergehend, auf dem Weg zu der nächsten Schnellbahnstation.

So blau wie das Meer, dachte er, endlich, wie man so sagt, so blau wie das Meer, dachte er, hätte man darauf antworten können, sollen, dachte er, zwei Tage später. Das wäre doch eine schöne Antwort gewesen, dachte er, und dann?

Schreibe einen Kommentar