Madeleines Geschenke (Leseprobe)

Madeleine war ihm dann entgegengekommen schon nach einigen Schritten, die er gemacht hatte, um sie (den halbverstandenen Instruktionen folgend) zu suchen, wie es oft ist, wenn man gerade gefragt hat, wo man jemanden findet, und dann kommt derjenige einem entgegen, als wirke möglicherweise durch die Frage schon eine gewisse Anziehung, vergleichbar der Art jener, die Menschen sich per Wunsch an das Universum dienstbar zu machen versuchen. Wünsche an das Universum zu richten, scheint auf der einen Seite eine ganz klare und einfache und sicher in vielen Fällen auch schöne Angelegenheit, eine sehr undogmatische und offene Art des Gebets. Solches kann aber, freilich, genaugenommen, sehr schnell zu einer sehr komplizierten und ganz schwer durchschaubaren Angelegenheit werden, etwa dann, wenn beim Universum zwei schwer vereinbare oder gar einander konträr laufende Wünsche zweier ganz ernsthaft Wünsche an das Universum Richtender eingehen: Denn, gesetzt, diese Wünsche würden gehört und verstanden und das Universum würde sich tatsächlich im Rahmen seiner Möglichkeit solcher Wünsche anzunehmen versuchen, welchen Wunsch würde es bevorzugen? Wenn Kurt sich Sabine wünscht und Sabine sich Thomas wünscht und Thomas sich Kurt wünscht und gar Klaus auch noch Sabine sich wünscht? Oder, ganz einfach, wenn zwei nette kleine Familien genau dasselbe nette kleine Haus sich wünschen an genau jener besonders netten kleinen Stelle? Müsste Universum dann entscheiden, wem es hilft? Oder würde Universum sich einfach vervielfältigen (Polyversum, Multiversum,Infiniti[simali]versum, Polimultiinfinitisimsimsalibabaversumsum), so dass jeder ernsthaft an das Universum gerichteter Wunsch ein gewissermaßen neues Universum schüfe? Eine schöne und wohl kaum zu widerlegende These, aber dennoch war er selbst sehr vorsichtig, was explizite Wünsche an das Universum betraf. Warum eigentlich? Ja, warum eigentlich?

Er trottete, so kann man sagen, etwas müde schon und etwas widerstrebend wie gegen einen Wind den Bürgersteig hinauf am Rande einer großen Straße entlang. Ein Knopf seines Mantels, der unterste Knopf, war abgesprungen, war vielleicht abgesprungen, wie er ins Schilf gepinkelt hatte, war vielleicht abgesprungen, während er durch seine unter dem Mantelsaum befindlichen Hosentaschen seinen Penis in seinen Boxershorts zurechtgelegt hatte, wie man es bisweilen (meist unbeobachtet) tut, wäre vielleicht abgesprungen, wie er sich gebückt hätte, um einen ganz anderen Knopf, der jemand anderem vom Mantel gesprungen wäre, aufzuheben, was ein lustiges kleines Knöpflein-Wechsel-Dich gewesen wäre, nähme man an, ein ganz ähnliches malheur geschähe dann auch dem Nächsten, der seinen Knopf wieder aufhöbe, wobei ihm wiederum ein Knopf vom Mantel spränge, oder auch, um ein wenig zu variieren, ein Feuerzeug aus der Hemdtasche fiele. Aber in der Tasche seines Mantels war kein Knopf, den aufhebend er den Knopf seines Mantels verloren hätte, trotzdem die Frage blieb: Ob irgendwer wohl den von ihm verlorenen Knopf fände und auch, was er damit machen würde: Ob der Knopf beispielsweise einfach dadurch, dass jemand das Pech hatte, ihn zu verlieren, jemand anderem (jemandem, der das Glück hatte, ihn zu finden), zum Glücksbringer würde, was schon ein interessanter kleiner Mechanismus wäre, dachte er, jaja, entstünde doch so, soso, entstünde doch so, sozusagen, durch das Pech des Verlierens eines Knopfes ein Ausgleichspotenzial frei verfügbaren Glücks, wobei wir es mit einer Art Anti-Karma (analog zur Antimaterie) zu tun hätten, das aber vermutlich auch den verrückten und schönen Gesetzen folgen würde, denen das Karma nach Meinung vieler Lehren folgt, also etwa nach der über den investierten Ausgangswert weit hinausreichenden Vermehrung von Energie beispielsweise, derzufolge die Drehung einer Gebetstrommel, so man dabei ein kleines spirituelles Lied noch singt, dem hundertfachen Singen des kleinen Liedes und dem tausendfachen Drehen der Gebetstrommel entspricht, und man also, genaugenommen, noch weit über das perpetuum mobile hinaus Energie ohne Zufuhr weiterer Energie nahezu beliebig verviel-, vervielmillionenfachen kann und weit (unendlich weit) darüber hinaus, und sich in einem ganz wundervollen Universum unendlicher Möglichkeiten wiederfindet:

Wie schön!

Denn so hätte er durch das kleine Pech des Verlierens eines Knopfes wem anders ein großes, jenes kleine Pech bei Weitem überwiegendes Glück bereitet, was, im Zusammenhang mit karmischen Gesetzmäßigkeiten, ihn dann möglicherweise in naher Zukunft einen Goldschatz etwa finden lassen würde, einfach so, irgendwo im Walde, aber dennoch fehlte vorerst der Knopf an seinem Mantel, und ein kühler Wind kühlte seinen Schritt, und er würde bald eine Straßenbahn nehmen.

Und wie er dann losgegangen war, jaja, wo ganz anders natürlich wieder, und wie er dann kurz darauf (in einer ganz und gar paranormal wirkenden Videoaufnahme) beobachten konnte, wie Joseph Beuys die Zigaretten gestohlen wurden, das war wirklich unglaublich und von größter Dreistigkeit und man fragte sich durchaus, was für ein karmisches Nachspiel das wohl gehabt haben mochte. Ob er gar, da so sehr davon ergriffen, darin verwickelt? Er hatte die Angelegenheit überprüft, und war zu dem Ergebnis gekommen, dass, wäre er die Wiedergeburt des Diebes von Beuys‘ Zigaretten (dessen Name hier nicht genannt sei), der Dieb schon zu eigenen Lebzeiten wiedergeboren worden wäre – völlig auszuschließen ist so etwas natürlich nicht, hatte er, war also nicht vollends über diese Angelegenheit beruhigt, gedacht.

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